Offener Brief

Behörde für Arbeit, Gesundheit Soziales, Familie und Integration
– Sozialbehörde –
Hamburger Straße 47
22083 Hamburg
poststelle@soziales.hamburg.de

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Frau Senatorin Leonhard,
sehr geehrter Herr Helfrich,

spätestens seit Hamburg die Inzidenz von 35 pro 100.000 zum wiederholten Male überschritten hat und infolgedessen Maßnahmen ergriffen wurden, um der Lage Herr zu werden, müssen wir über verschiedene Punkte sprechen, die – nach heutigem Stand und unter Vorbehalt der aktuellen persönlichen Kenntnis – bisher unter den Tisch gefallen sind.


1. Maskenpflicht im öffentlichen Raum

Ich bitte richtig zu verstehen, grundsätzlich gehe ich davon aus, Sie werden sich mit Experten beraten haben und unterstelle, dass die kleinteilige Regelung bis hin zu den ausgegebenen Uhrzeiten darauf ausgerichtet ist, die Bürger*innen möglichst wenig zu beeinträchtigen. Was mir im Zusammenhang mit der Verschärfung dieser Regelung fehlt ist Folgendes:
Werden denn nun Masken für bedürftige Menschen, für die der Kauf unter Umständen besondere Härte bedeutet, zur Verfügung gestellt?

Nun werden Sie vielleicht einwenden, dass diese Diskussion bereits im April geführt wurde und Sie als Behörde das Ansinnen abschlägig beschieden:

Einige Monate im Verlauf der Pandemie wird die Nachfrage, ob die Behörde für Gesundheit und Soziales sich inzwischen entschieden hat, in beiden Bereichen die Diskriminierung von Menschen in Armut zu beheben, anstatt sie an bestimmten Stellen mittelbar zu fördern, aber doch sicher erlaubt sein.

2. Unterbringung

Wir wissen (fast) alle, dass auch in diesem Jahr das Winternotprogramm wieder am 01. November startet. Was nicht so klar zu sein scheint ist, wie es ausgestaltet sein wird.
2020, auch das wissen wir alle, ist ein besonderes Jahr, das besondere Maßnahmen erforderlich macht.
Wie der Hamburger Morgenpost zu entnehmen ist, kann man behördenseits noch nichts genaueres über das WNP sagen.
Das ist aus zwei Gründen, eigentlich aus dreien recht erstaunlich:

  1. Herbst und Winter kommen ähnlich wenig überraschend, wie es zu diesen Jahreszeiten kalt und nass ist.
  2. Pandemie ist nicht erst seit gestern, folglich wäre in den vergangenen Monaten doch genug Zeit gewesen, einen validen Plan auszutüfteln, wie der offensichtliche Verlust von Übernachtungsplätzen als Ergebnis der Entzerrung von Mehrbettzimmern, ausgeglichen werden kann und
  3. stellte sich das vermeintliche Problem unter 2. gar nicht erst, würde man endlich damit anfangen, dezentrale Einzelunterbringung, Hotelunterbringung etc. in die Planung mit einzubeziehen.

Es stellen sich also die üblichen Fragen, was nicht nur angesichts der speziellen Umstände, eine trostlose und frustrierende Erkenntnis ist:

  • Wird es eine ganztägige Öffnung des WNP geben?
  • Werden und wenn ja, in welcher Form, die fehlenden Übernachtungsplätze kompensiert?
  • Ist die Anmietung von Hotelzimmern angedacht?

Sofern die ganztägige Öffnung des WNP auch in diesem Jahr nicht geplant ist, schließt sich die Frage an: Weshalb nicht?
Die Begründungen, es bräuchte Stunden, um die Räume zu reinigen und/ oder es handle sich um einen Erfrierungsschutz und nicht ein Angebot mit Wohncharakter (wer einmal in einer Großunterkunft war, wird diesem Missverständnis ohnehin nicht aufsitzen) oder ähnliche, verfangen bereits seit Jahren nicht mehr und sind verschiedentlich widerlegt (hinundkunzt.de).

Sofern die Anmietung von Hotelzimmern, was ja unter Umständen auch den ein oder anderen Betreiber nicht unerheblich entlasten würde, nicht angedacht ist, schließt sich die gleiche Frage an: Weshalb nicht?
Aus den Erfahrungen im so genannten „Corona-Sommer“, der gerade erst einige Wochen zurückliegt, wissen wir, dass Einzelunterbringung die Menschen nicht nur zur Ruhe kommen, sondern Perspektiven entwickeln lässt.
Dass es der Firma Reemtsma zu verdanken ist, dass überhaupt Menschen sicher und würdig untergebracht werden konnten, soll hier nicht unerwähnt bleiben (reemtsma.com, alimaus.de); auch, weil man sich an guten Vorbildern aus der Wirtschaft auch als Stadt und Staat ein Bespiel nehmen kann.

Was wird passieren, wenn sich in einer Großunterkunft Menschen einfinden, die positiv getestet wurden/ werden?
Quarantäne für die gesamte Einrichtung wie im Frühjahr mit der Friesenstraße geschehen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen erkranken ist ungleich höher, sitzen sie geballt aufeinander. Haben Senat und die Behörde für Soziales und Gesundheit da nicht, auch im Sinne des sozialen Gewissens und Fürsorge für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, geradezu die Verpflichtung, von den üblichen Vorgehensweisen abzuweichen und die Unterbringung zumindest anders zu denken?

Die Betroffenen, sprich Menschen ohne Obdach oder in Armut lebende Menschen gehören sehr regelmäßig aufgrund ihrer prekären Lebensumstände zu den (Hoch)Risikogruppen. Natürlich werden wir bei unveränderter und an die Corona-Lage unangepasste Herangehensweise auch in diesem Winter nicht nur immer mehr Menschen verelenden sehen, sondern wir werden sie sterben sehen.
Das kann doch niemand sehenden Auges wollen und schon gar nicht verantworten.
Hamburg ist eine grundsätzlich sehr solidarische Stadt, aber die Solidarität der Zivilgesellschaft wird es alleine nicht richten (können) und sollte es im Übrigen auch nicht müssen.
Hier ist staatliches Handeln und vor allem behördliche Weitsicht gefragt.

3. Grippeschutzimpfung

Besonders in diesem Herbst und Winter ist die Grippeschutzimpfung ein wichtiges Thema, um das Gesundheitssystem zu schonen und nicht zusätzlich zu belasten (hamburg.de).
Wie aber kommen Menschen, denen die Krankenversicherung fehlt, zu einer Impfung? Wird es für die betroffenen Personengruppen, möglichst auch anonymisierte, Angebote und Möglichkeiten geben?


Verstehen Sie die aufgeworfenen Fragen und Punkte bitte richtig:
Weniger geht es um einen Angriff als vielmehr um das Bemühen, zu verstehen, weshalb ausgerechnet eine Stadt wie Hamburg, die sich mehr Mut zur Hilfe im tatsächlichen Sinne doch leisten kann, sich so schwer damit tut, die Schwachen zu schützen.
Es ist wie Gustav Heinemann gesagt haben soll:
„Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt.“
Und eine Gesellschaft muss in der Politik eben dafür einen verlässlichen Partner haben, der das Wohl aller im Blick behält.

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Senatorin Leonhard,
sehr geehrter Herr Helfrich,
vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Über Antwort würden wir uns freuen. Weniger in Form eines Schreibens der Pressestelle, als vielmehr in Taten.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für unser aller Gesundheit