#stayhome #flattenthecurve #wirvsvirus #gemeinsamgegencorna #wirbleibenzuhause – diese und weitere griffige Hashtags lassen uns alle wissen, was wir in diesen Tagen der “Corona-Krise” zu tun haben: Zuhause bleiben, für uns und für andere.
Was aber, wenn es kein Zuhause gibt? Was, wenn der Rückzugsort ein Zelt unter einer Brücke oder der überdachte Eingang eines Bekleidungsgeschäftes in der Innenstadt ist? Menschen, die auf der Straße leben, gehören nicht nur zu unserer Gesellschaft wie “Du und ich”, sondern sind gleichsam auch Teil der so genannten Risikogruppe. Durch geschwächte Immunsysteme und/ oder Vorerkrankungen sind sie besonders gefährdet, dem Virus zu erliegen, sollten sie sich anstecken. Was wäre also nahe liegender als auch für diese Risikogruppe angemessene und menschenwürdige Vorkehrungen zu treffen, um sie vor COVID-19-Erkrankungen bestmöglich zu schützen? Ist es nicht vielmehr auch essentielle staatliche Aufgabe eben für den Schutz der Bürger*innen mit und ohne Wohnsitz zu sorgen und muss nicht insbesondere in Krisenzeiten von dem althergebrachten wie gleichsam überholten Konzept der Bereitstellung einer Grundversorgung abgewichen werden, da eben diese Grundvorsorgung in bestehender Form den Herausforderungen, welche die “Corona-Krise” mit sich bringt, nicht gerecht wird? Wer diese Fragen mit “Ja” beantwortet befindet sich in guter Gesellschaft zahlloser haupt- und ehrenamtlicher Helfer*innen in Hamburg. Wer sich selbst allerdings die Antwort “Nein” gibt, sieht sich im Einklang mit der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (kurz und im Folgenden “BASFI”), wie im weiteren Text dargelegt werden soll.
Ihrem Selbstverständnis nach beschreibt die BASFI ihre Aufgaben im Überblick (1):
“Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) verantwortet in Hamburg die Gestaltung des Sozialwesens. Hierzu zählen (Transfer-)Leistungen für Menschen, die von Armut und Ausgrenzung bedroht sind, Hilfen für Wohnungs- und Obdachlose sowie für Menschen mit Behinderungen. […]”
Am 17. März 2020 titelte das Magazin “Hinz und Kunzt” (2):
“Obdachlose bekommen in Hamburg kaum mehr Hilfen”
Und am 18. März 2020 legte der NDR nach (3):
“Obdachloseneinrichtungen wegen Corona eingeschränkt”
Zu diesem Zeitpunkt wurde, wie sich dem Artikel von “Hinz und Kunzt” entnehmen lässt seitens der Sozialbehörde an einer Lösung gearbeitet. Man sei mit einzelnen Akteuren darüber im Gespräch, „wie unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen Angebote gemacht werden können beziehungsweise wie bestehende Strukturen dahingehend angepasst werden können, dass sie eine geeignete Unterstützung darstellen.“
Geboten gewesen wäre aber schon Mitte März nicht lediglich das Gespräch mit einzelnen Akteuren zu suchen, sondern eine explizit für die Problemlagen im Zusammenhang mit Wohnungs-/Obdachlosigkeit zuständige Koordinierungsstelle einzurichten, so wie die Voraussetzungen für einen Krisenstab zu schaffen, welcher sich bestenfalls aus Vertreter*innen aller Akteure in der Wohnungs-/Obdachlosenhilfe hätte zusammensetzen sollen, um schnell und unbürokratisch Lösungen für die Betroffenen zu schaffen. Am Rande sei hier bemerkt, dass dies ohnehin und krisenunabhängig wünschenswert wäre, um eine tatsächliche Verzahnung und Vernetzung der Hilfen zu gewährleisten so wie zu fördern.
Ebenfalls am 17. März 2020 war der TAZ zu entnehmen (4), dass die Notunterkunft in der Friesenstraße unter Quarantäne gestellt bzw. häusliche Isolation verordnet wurde. Spätestens hier wäre unabdingbar schnelles Handeln geboten gewesen, um dezentrale Unterbringung voranzutreiben. Stattdessen aber ließ sich der Sprecher der BASFI um den 23. März 2020 dergestalt vernehmen, dass es ausgesprochen ärgerlich sei, wenn weite Teile des Hilfessytems ausgerechnet jetzt ihren Betrieb einstellten (5). Fast zeitgleich war bei ZEIT ONLINE nachzulesen, wie es den Ärmsten der Stadt jetzt geht und was die häusliche Isolation der Einrichtung Friesenstraße auch für die Arbeit der Straßensozialarbeiter bedeutete (6).
Die Rufe nach dezentraler Unterbringung, beispielsweise in Hotels oder Jugendherbergen, begannen sich inzwischen zu mehren (7). Eine dezentrale Unterbringung lehnte und lehnt die Behörde mit Rückzug auf die Scheinargumentation, es sei mit einem Dach über dem Kopf nicht getan, ab. Hier sei noch einmal darauf verwiesen, dass die allgemeine Losung seit Wochen für die Bevölkerung heißt “Bleiben Sie zuhause” und auch darauf, dass eine Ansteckung bei Vorliegen von Vorerkrankungen oder schwachem Immunsystem einen sehr schweren bis hin zu tödlichen Verlauf nehmen kann. So will sich hier doch unweigerlich die Frage stellen, was bei derzeitiger Gefährdungslage Priorität hat:
Das Aufzeigen einer langfristigen Perspektive, wie es die BASFI im Falle von Einzelunterbringung nicht gewährleistet sieht (8) oder der Schutz der Gesundheit und gegebenenfalls sogar des Lebens? Ganz unabhängig von der Frage, weshalb eine Betreuung durch aufsuchende Sozialarbeit nicht auch im Rahmen von dezentraler Unterbringung möglich sein soll.
Denn wie sich herausgestellt hat, ist die Unterbringung nebst Betreuung sehr wohl im Bereich des Machbaren. Zu verdanken ist die Bereitstellung von Rückzugsorten in Form von Hotelzimmern allerdings nicht der BASFI sondern einer Spende des Hamburger Unternehmens Reemtsma (9).
In einer Pressemitteilung vom 25. März 2020 erklärt die BASFI stattdessen, weite Teile des Hilfessytems seien verfügbar sowie dass die Unterbringung bis Ende Mai gesichert sei (10).
Die Frage, inwieweit Massenunterkünfte geeignet sind, effektiven Schutz zu bieten ist an dieser Stelle ebenso erlaubt, wie die Nachfrage, was so genannte “lockere Belegung” in der Realität bedeutet. Sofern die Anzahl der Betten pro Zimmer reduziert wird, bedeutet das im Umkehrschluss rein rechnerisch den Wegfall von Plätzen. Zudem werden die Öffnungszeiten zwar über die für das Winternotprogramm üblichen Zeiten ausgedehnt und die Unterkünfte bleiben von 15 Uhr bis 11 Uhr geöffnet, dennoch kann dies im Hinblick nachhaltigen Schutz nicht als ausreichend gelten. Das Angebot der BASFI schließt an den Zustand vor der “Corona-Krise” an:
Der Zustand und mit ihm zwangsläufig die betroffenen Menschen werden notdürftig verwaltet. Der Rückgriff und das Sich verlassen auf die Strukturen, die abseits der staatlichen Hilfen gewachsen sind und sich auch in dieser Krisenzeit mit erheblicher Flexibilität entwickeln, tritt noch deutlicher zutage und offenbart die Unzulänglichkeiten im System geradezu schonungslos.
Anstatt aber auf die diese Lücken in angemessener Weise und ihre Aufgabe nach zu reagieren, erklärt die BASFI an diesem Osterwochenende in unumwundener Deutlichkeit ihre Position zu einer erweiterten Öffnung von Hotels/ Jugendherbergen:
“Wir setzen nicht auf diese Lösung und das haben wir zukünftig auch nicht vor.” (11)
Was also im Endergebnis nach den zugrunde liegenden Quellen und der damit verbundenen Recherche festzustellen bleibt ist, dass die BASFI offenbar kein aufrichtiges Interesse daran hegt, ihrem Auftrag gerecht zu werden. Stattdessen hält die Behörde eisern an verkrusteten Maßnahmen fest, die sich bereits seit Jahren – ganz ohne eine zusätzliche Belastung durch eine Krise – als unzureichend und nicht angemessen erweisen.
Was sich unterdessen nicht beantworten lässt, ist die Frage nach dem “Warum” für dieses offenkundige und vor Augen der Öffentlichkeit stattfindende behördliche Versagen. Es will nicht erklärbar erscheinen, weshalb hier weder die eigene Aufgabenstellung in angemessener Weise erfüllt wird, noch der staatlichen Fürsorgepflicht Rechnung getragen wird oder der grundgesetzlich verbrieften Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen zu wider gehandelt wird.
Und noch etwas ist augenscheinlich:
Weder vor Corona noch vor der Behörde sind alle Menschen gleich.
Quellen
- https://www.hamburg.de/basfi/wir-ueber-uns/
- https://www.hinzundkunzt.de/obdachlose-bekommen-in-hamburg-kaum-mehr-hilfen/
- https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Obdachloseneinrichtungen-wegen-Corona-eingeschraenkt,obdachlose410.html
- https://taz.de/Corona-Fall-in-Obdachlosen-Unterkunft/!5668620/
- https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Viele-neue-Helfer-fuer-die-Hamburger-Tafel,tafeln172.html
- https://www.zeit.de/hamburg/2020-03/coronavirus-armut-quarantaene-hamburg-obdachlosigkeit
- https://taz.de/Hilfe-fuer-Obdachlose-in-Corona-Zeiten/!5673845/
- https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hamburg_journal/Fuer-Obdachlose-spitzt-sich-die-Lage-derzeit-zu,hamj93408.html
- https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Corona-Hotelzimmer-fuer-Obdachlose-dank-Spende,coronavirus1294.html ; https://www.diakonie-hamburg.de/de/presse/pressemitteilungen/Corona-Krise-Reemtsma-finanziert-Einzelunterkuenfte-fuer-bis-zu-250-Hamburger-Obdachlose
- https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/13756792/2020-03-25-basfi-corona-obdachlosenhilfe/
- https://www.mopo.de/hamburg/-open-the-hotel—ruf-nach-einzelzimmern-fuer-obdachlose-stoesst-auf-kritik-36522476