Wo beginnt Augenhöhe und wie geht das, das auf Augenhöhe begegnen?
Es beginnt mit der Sprache.
Immer wieder tauchen in Berichten oder Schilderungen die Worte „sozial“ und „schwach“ auf, um Menschen zu beschreiben, die nur sehr wenig oder nichts besitzen. Menschen, die kein Dach über dem Kopf und ihrem Leben haben.
Als „sozial schwach“ gelten also Menschen, die wenig oder keine materiellen Mittel zur Verfügung haben. Viel richtiger, weit weniger abwertend und beurteilend ist es, „ökonomisch schwach“ zu sagen.
Das Portmonnaie sagt nichts über die sozialen Kompetenzen eines Menschen aus. Es bestimmt aber darüber, ob gesellschaftliche Teilhabe möglich ist.
Auch wird häufig über die Menschen statt mit ihnen gesprochen. Dabei werden allzu oft gängige Vorurteile bedient:
In Deutschland müsse niemand obdachlos sein oder eine ganztägige Öffnung des Winternotprogramms hielte „die Obdachlosen“ nur davon ab, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen. „Die“ seien doch ohnehin alle alkohol- oder drogenabhängig und sowieso selbst schuld an ihrer Situation.
Auch wird immer wieder mit der Not geschachert. Besonders aus rechten Kreisen ist viel zu hören, für die Geflüchteten werde alles getan, aber für die einheimischen Obdachlosen bliebe nichts über.
Das Leid der Menschen gegeneinander aufzuwiegen oder auszuspielen, ist nichts weiter als Instrumentalisierung, die mehr als nur vermuten lässt, dass Begegnungen auf Augenhöhe weder gewünscht noch gewollt sind.
Es setzt sich fort mit den Gesten.
Weg- oder herunter schauen hat wenig mit Augenhöhe zu tun. Wir alle kennen das Bild:
In der U-Bahn bittet jemand die Fahrgäste um eine Spende. Nicht selten wird auf diese Bitte, von der anzunehmen ist, dass sie dem Bittenden nicht leicht fällt, mit verschämten Blicken aus dem Fenster oder zu Boden reagiert. Natürlich ist jeder Mensch frei in seiner Entscheidung und niemand gezwungen, dem Bitten nach einer Spende oder kleinen Unterstützung nachzukommen. Aber dem Reflex, einen anderen Menschen zu ignorieren, weil uns die Situation vielleicht unangenehm ist, sollten wir versuchen, nicht nachzugeben.
Es endet in der Politik und in Gesetzen.
Blicken wir nach Ungarn. Schon 2013 hat die dortige Regierung ein Gesetz erlassen, dass Menschen ohne Obdach den Aufenthalt an bestimmten öffentlichen Plätzen verbietet.
In diesem Jahr nun wurde mit erschreckender Mehrheit – 160 Ja- zu 18 Nein-Stimmen nämlich – eine Verschärfung der Regelung verabschiedet. Ungarn macht obdachlose Menschen damit de facto zu Kriminellen: Der Aufenthalt und das Niederlassen an öffentlichen Plätzen ist per Gesetz unter Strafe gestellt. Bei Zuwiderhandlung drohen Geld- und gar Gefängnisstrafen. Es leben in etwa 50.000 Menschen ohne Obdach in Ungarn. Mit demselben Gesetzespaket wurde übrigens auch die Flüchtlingshilfe unter Strafe gestellt: Wer einem illegal aus einem Nicht-Schengen-Land nach Ungarn eingereisten Migranten hilft, wenn dessen Leben nicht unmittelbar in Gefahr ist, kann mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden.
In Deutschland derweil denken die Berliner Verkehrsbetriebe darüber nach, U-Bahnhöfe im Winter nicht mehr für obdachlose Menschen offen zu halten. Immerhin interveniert die Sozialverwaltung und in kommenden Wochen soll es dazu Gespräche geben, an deren Ende nach dem Willen der Sozialverwaltung eine Einigung darüber stehen soll, dass die Bahnhöfe geöffnet bleiben.
Ebenfalls in Berlin sollen 40 Wohnungen im Rahmen eines Projekts dauerhaft für obdachlose Menschen zur Verfügung gestellt werden. Der Ansatz von „Housing first“ ist es, den Menschen erst eine Wohnung zur Verfügung zu stellen, um sich im Anschluss um die zwangsläufig durch ein Leben auf der Straße entstehenden Probleme zu kümmern. Erst der Rückzugsort, dann alles andere.
Bisher – auch das kennen wir alle – ist Wohnen an Bedingungen geknüpft, wie ein festes oder jedenfalls gesichertes Einkommen, eine Arbeitsstelle, Kreditwürdigkeit und so weiter. Housing first will diese Bedingungen außen vor lassen, um den Menschen eine reelle Chance auf eine Wohnung zu bieten.
Also, wie geht das, das auf Augenhöhe begegnen? Im Grunde doch ganz einfach: Mensch und menschlich bleiben.
Weiterführende Links/ Quellen:
https://www.ndr.de/…/Oeffnung-des-Winternotprogramms-geford…
https://offenerbrief.qnoc.de/winternotprogramm2018hh/#/
https://www.berliner-zeitung.de/…/wohnungen-gesucht-projekt…
http://www.spiegel.de/…/ungarn-verbietet-obdachlosen-aufent…
https://www.hinzundkunzt.de/ungarn-obdachlose/
https://www.tagesspiegel.de/…/nahverkehr-in-b…/23075894.html
https://www.tagesspiegel.de/…/berliner-u-bahn…/23083180.html
https://www.mopo.de/…/kolumne–auf-den-strassen-von-hamburg…